"Die Muslime brauchen nicht zwingend einen Imam, sie konzentrieren sich nach innen"

26.09.2016
Den Islam kennenlernen. Migration und interreligiöser Dialog

Eine Kooperationsveranstaltung des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog, der Mannheimer Abendakademie und des ökomenischen Bildungszentrums sanctclara

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Text und Fotos von Hannah Bock, 27 Jahre; Videoschnitt von Fulya Ay, 23 Jahre · 20.10.2016

In Mannheim gibt es 15 Moscheen, vier davon werden wir im Zuge der Stadtführung "Den Islam kennen lernen" besuchen. Begleitet werden wir von Talat Kamran, dem Leiter des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog, und dem ersten Vorsitzenden Ulrich Schäfer, Pfarrer in Rente und Islamexperte.

Bis auf die große und bekannte Yavuz Sultan Selim Moschee befinden sich die Moscheen in unscheinbaren Häusern, wo man sie nicht erwarten würde. Wenn man von der belebten Straße in die stillen Innenhöfe und Räumlichkeiten tritt, ist es ein wenig so, als würde man eine eigene kleine Welt betreten. Vor jeder Moschee ziehen wir die Schuhe aus, der Hauptsaal sowie der Weg dorthin sind stets mit Teppichboden ausgelegt. Wir treffen die verschiedenen Imame und Vorstände. Man merkt, dass sie sich über unseren Besuch und unser Interesse freuen. Mir gefällt der Monnemer Akzent des Vorstands der Çarsi Camii Moschee, für mich ein bisschen symbolisch für die mittlerweile enge Verbindung Mannheims mit dem Islam.

Wir erfahren viel über den Islam, über Moscheen, religiöse Rituale, den muslimischen Gottesdienst und die Mannheimer Gemeinden. Besonders ist, dass wir nicht einfach einem Vortrag lauschen, sondern gemeinsam in einem Kreis auf dem Boden sitzen und uns unterhalten. Es ist etwas anderes den muslimischen Geistlichen gegenüber zu sitzen, sie kennen zu lernen als Person, nicht nur als Imam. Sie alle sind verheiratet und haben Kinder. Sie erzählen uns von ihrer Ausbildung und wie sie schließlich nach Deutschland kamen. Der Albanische Moscheeverein ist etwas kleiner und hat aus finanziellen Gründen keinen Imam, wie uns der sympathische Vorstand Gafur Kamberi erklärt. Im Islam darf jedoch jeder ein Gebet anleiten, Männer wie Frauen. "Jeder ist geistlich", erklärt uns Kamran. "Das ist der Unterschied zum christlichen Gottesdienst: Die Muslime brauchen nicht zwingend einen Imam, sie konzentrieren sich nach innen. Wir stellen uns vor, wir sind erfüllt mit der göttlichen Gegenwart im spirituellen Sinne."

Ein Thema, das alle sehr interessiert und deshalb immer wieder zur Sprache kommt, ist die Geschlechtertrennung beim Gebet. Jede Moschee handhabt diese dem Platz entsprechend, der ihr zur Verfügung steht, räumlich oder zeitlich. Aufgrund des engen Körperkontakts beim Beten, würde die Trennung auch von den Frauen begrüßt, so Kamran. So kann sich jeder aufs Gebet konzentrieren. Ähnliche Gebräuche lassen sich auch in anderen Religionen finden, ergänzt Schäfer. Auch in Synagogen sitzen Frauen und Männer getrennt. "Man kann auch hier vieles kritisch sehen. Man findet überall Defizite.", sagt Kamran. Alles sei aber in der Entwicklung. Viele Moscheen haben zum Beispiel einen extra Frauenvorstand oder einen gemeinsamen geschlechtergemischten Vorstand. Und in Mekka um die Kaaba herum, dem zentralen Heiligtum des Islams, beten alle zusammen.

Aber wir reden nicht nur, sondern bekommen auch andere eindrucksvolle Einblicke. Imam Abdullah Döğer läd uns ein, beim Nachmittagsgebet in der Çarsi Camii Moschee zuzusehen, und Imam Hasan Çakmak führt uns in der Fatih Camii Moschee einen Muezzinruf vor.

Zum Abschluss berichtet uns Schäfer vom nicht unproblematischen Bau der Yavuz Sultan Selim Moschee. Nachdem es anfangs verschiedene Widerstände gab, konnte die Moschee nach langen, aber erfolgreichen Debatten schließlich gemeinsam von Muslimen, Juden und Christen eröffnet werden. Auch heute herrscht eine sehr gute Kooperation zwischen den Institutionen verschiedener Religionen, zwischen den verschiedenen sunnitischen Moscheevereinen sowie mit vielen nichtreligiösen Vereinen. Auch das muslimische Fastenbrechen wird mit nichtmuslimischen Bürgern gemeinsam gefeiert. Mannheim gilt deutschlandweit als Vorbild. Häufig fragen andere Städte um Rat, wenn es um den friedlichen Bau einer Moschee geht. "Mannheim ist wirklich eine Vorzeigestadt. Wir sind so glücklich darüber, dass es hier so gut funktioniert.", so Kamran.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich gerne in Mannheim wohne. Ich habe die 3 ½ Stunden sehr genossen und wieder viel Neues über den Islam erfahren. Für alle Interessierten bietet die Yavuz Sultan Selim Moschee regelmäßig Führungen an. Eine gute Gelegenheit, eine Seite Mannheims kennen zu lernen, die den meisten zwar eher weniger vertraut ist, die aber mittlerweile ein fester und bereichernder Bestandteil der Stadt und ihrer Vielfalt geworden ist.

 

 

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